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15.12.2021

Politik am Ring: „Luxus“ Heizen - Was tun gegen rasant steigende Energiepreise?

 - © Von links: Nationalratsabgeordneter Peter Wurm (FPÖ), AK Experte Josef Thoman, Nationalratsabgeordnete Tanja Graf (ÖVP), Moderator Gerald Gross, Experte E-Control Alfons Haber, Nationalratsabgeordnete Karin Doppelbauer (NEOS), Nationalratsabgeordneter Lukas Hammer (GRÜNE), Nationalratsabgeordneter Alois Schroll (SPÖ)

Parlamentsfraktionen diskutieren darüber, warum die Energiepreise in die Höhe schnellen und was die Politik dagegen tun kann.

Die Strom- und Gaspreise in Europa schießen in die Höhe. Viele Staaten reagieren darauf, indem sie Steuern senken oder Zuschüsse verteilen, um sowohl Privathaushalten als auch Unternehmen zumindest über diesen Winter zu helfen. Auch in Österreich sind die Rechnungen für Gas- und Stromkunden deutlich gestiegen. Heizen, Kochen, Tanken ist durchschnittlich um mehr als ein Fünftel teurer geworden, beim Heizöl beträgt die Steigerung sogar 60,8 %. Ein „Perfect Storm“ braut sich auch am Gasmarkt zusammen: Die Nachfrage ist mit der wirtschaftlichen Erholung vor allem in Asien wieder gestiegen, das Angebot konnte jedoch nicht in dem Ausmaß mithalten. Die EU-Kommission fordert ihre Mitgliedstaaten auf, ihren Bürgerinnen und Bürgern unter die Arme zu greifen, sei es durch direkte Einkommensunterstützung, durch Steuererleichterungen oder durch staatliche Hilfen. In Österreich wurde der Ökostromförderbeitrag für 2022 auf Null reduziert, zudem erhalten alle den vollen Klimabonus. Österreichs Energiewirtschaft betont, dass gerade jetzt der Ausbau erneuerbarer Energien wichtig ist, nicht zuletzt, um Österreich dadurch unabhängiger von den Preisschwankungen am Energiemarkt zu machen.

Über die Frage, wie man den gestiegenen Energiepreisen begegnen könnte, diskutierten gestern in der Internet-TV-Sendung des Parlaments Politik am Ring unter der Moderation von Gerald Groß VertreterInnen der fünf Parlamentsfraktionen mit dem Vorstand der E-Control Alfons Haber sowie mit dem Volkswirten Josef Thoman von der Arbeiterkammer Wien.


Direkte Unterstützungsmaßnahmen und Ausbau der erneuerbaren Energien

Man solle nicht stärker in die Energiemärkte eingreifen, sondern das Problem beim Namen nennen, forderte Abgeordneter Lukas Hammer (Grüne): Der schockhafte Anstieg der Strom- und Gaspreise resultiere daraus, dass man von fossilen Energieimporten abhängig sei. Die Preisfalle sei systemimmanent, die Lösung laute daher „rein in die erneuerbaren Energien“. Gezielte Maßnahmen wie die Ausbezahlung des vollen Klimabonus, die Herabsetzung des Ökostromförderbeitrags auf Null oder die bis zu hundertprozentige Förderung von neuen Heizungsanlagen nächstes Jahr seien ein Schritt in die Richtung, die Menschen aus der Preisfalle herauszuholen. Ein „Herumregulieren“ am Energiemarkt und neue klimaschädliche Subventionen seien kontraproduktiv, betonte der Sprecher für Klimaschutz und Energie der Grünen.

Abgeordnete Tanja Graf, Energiesprecherin der ÖVP, ergänzte, dass die Entwicklung der Energiekosten aus wirtschaftlicher Sicht eine wichtige Frage sei, Energiearmut abzufangen stehe jedoch ebenfalls im Mittelpunkt. Erst vergangene Woche sei im Sozialausschuss beschlossen worden, das COVID-19-Armutsgesetz mit weiteren 10 Millionen Euro aufzustocken, und auch das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz, das auf dem Weg sei, behandle dieses Thema. Im Bereich Energiearmut seien aber auch die Länder sehr aktiv, etwa mit dem Heizkostenzuschuss, ebenso die Energieversorgungsbetriebe selbst, zum Beispiel durch einen Heizfonds für arme Haushalte. Es gebe viele Töpfe, die abrufbar seien, wichtig sei die Information der Bevölkerung darüber, wo man sich die Förderungen abholen könne.


Zu spät und zu langsam: Opposition kritisiert Maßnahmen der Regierung

Niemand werde sich im kommenden Jahr etwas ersparen, entgegnete Abgeordneter Peter Wurm (FPÖ), auch wenn das, was die Regierungsfraktionen darstellten, „nach Füllhorn klinge“. Die Entwicklung am Markt sei zudem nicht über Nacht gekommen. Die FPÖ habe schon vor eineinhalb Jahren einen Antrag bezüglich Preismonitoring eingebracht. Die Preisveränderungen gebe es in diesem Ausmaß nur in der EU, die Probleme seien also auch hausgemacht, so müssten die Menschen jetzt die viel zu schnelle Umstellung auf Ökoenergie jetzt ausbaden.

Abgeordnete Karin Doppelbauer, die Energiesprecherin der NEOS, betonte ebenfalls, dass die Entwicklung schon vor Längerem eingesetzt habe. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz hätte schon früher umgesetzt werden müssen, um die Abhängigkeit zu reduzieren, denn was die Entwicklungen am Markt betreffe, befinde man sich in einer „bestürzenden Phase“. Druckmittel sei vor allem das Gas aus Russland. Der Ausbau der erneuerbaren Energien sei viel zu spät angegangen worden.

Maßnahmen im Bereich der Energiearmut seien jetzt dringend und wichtig, denn viele Menschen könnten sich Strom und Heizen bald nicht mehr leisten, monierte Abgeordneter Alois Schroll. Der Energiesprecher der SPÖ kritisierte, dass die österreichische Energieministerin bei dem maßgeblichen Treffen der Energieminister in Brüssel im Oktober nicht dabei gewesen sei. Die EU-Kommission habe den Ländern eine Toolbox in die Hand gegeben. Andere Länder hätten zum Beispiel die Mehrwertsteuer auf Gas und Strom schon ausgesetzt, entsprechende Anträge der SPÖ seien in den Ausschüssen aber vertagt worden. In Österreich passiere zu wenig und es dauere alles zu lange, so sei etwa das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz noch immer nicht am Tisch.


Experten erwarten starke Preissteigerungen in den kommenden Monaten

Alfons Haber, Vorstand der E-Control, nannte als weiteren Aspekt der aktuellen Dynamik neben der weltweiten Nachfrage nach Gas und dem im Verhältnis dazu zu geringen Angebot die Infrastruktur: Instandhaltungsarbeiten bei Gasleitungen hätten die Situation trotz Langfristverträgen schwierig gemacht. Die Energiewende bedeute eine schrittweise Substitution des Primärenergieträgers, die Nachfrage nach Gas sei aktuell aber ungeachtet dessen gestiegen, um die Stromnachfrage zu decken. Die Gasspeicher seien derzeit zu 40 % und mehr gefüllt, für die nächsten Monate sei Österreich mit Gas sehr gut versorgt, Gas zu hohen Preisen einzuspeichern sei aber ein unternehmerisches Risiko. Die Liberalisierung habe in Österreich in den letzten zehn Jahren zu einer deutlichen Stabilisierung der Energiepreise beigetragen, die Preise liegen seither konstant im europäischen Mittelfeld.

Von den Abgeordneten kontrovers diskutiert wird die Frage nach der Verantwortung der Energieversorgungsunternehmen, die sich zum Teil im Landeseigentum befänden – einerseits solle die Liberalisierung nicht nachträglich wieder relativiert werden, andererseits hätten die Unternehmen zum Teil gute Gewinnausschüttungen, und auch die Kosten für die Netzinfrastruktur müssen in diesem Zusammenhang kritisch betrachtet werden. 

Josef Thoman, Experte für Wirtschaftspolitik in der Arbeiterkammer Wien, skizzierte die sich zuspitzende Lage: Günstige Angebote seien vom Markt verschwunden und große Anbieter haben Erhöhungen angekündigt. Bei den Stromkosten sei ein Anstieg um 47 % zu erwarten, bei Gas eine Verdoppelung des Preises, auch die Netzkosten würden steigen. Es sei mit 570 bis 850 Euro Erhöhung der Kosten pro Haushalt zu rechnen, und dies sei nicht nur für Einkommensschwache, sondern auch für MittelverdienerInnen oder PensionistInnen ein Problem. Die Arbeiterkammer habe schon im Oktober ein Schutzpaket mit folgenden Maßnahmen gefordert: ein Abschaltstopp für diesen Winter, ein Recht auf Ratenzahlung, eine Erhöhung der Heizkostenzuschüsse, wobei der Bund die Länder unterstützten solle, eine Aussetzung der Ökostrompauschale und, als wichtigster Punkt, der auch Teil der Toolbox der Europäischen Kommission sei, eine temporäre Reduktion der Umsatzsteuer. Man müsse jedenfalls zwischen Problemen in diesem Winter und langfristigen Zielen unterscheiden.

Abgeordneter Wurm (FPÖ) wies diesbezüglich nochmals auf Anträge zur Entschärfung der aktuellen Situation hin, die von seiner Fraktion schon eingebracht, aber von den Regierungsfraktionen abgelehnt worden seien. Die FPÖ plädiere für eine Energiepolitik mit Hausverstand, die Grünen müssten „ideologisch einen Gang zurückschalten“, und die ÖVP möge die Länder „ein bisschen von ihren Budgets herunterholen“.

Auch die SPÖ habe zig Anträge eingebracht, so Abgeordneter Schroll, die die meisten Punkte, die von Experten Thoman genannt worden seien, enthielten. Die anderen Fraktionen sollten nochmals überlegen, diese Anträge vielleicht doch zu unterstützen. Ein besonders wichtiges Anliegen sei die Verhinderung der Abschaltung von Strom und Heizung.

Akute Hilfe für die Betroffenen sei schnell nötig, bestätigte auch NEOS-Abgeordnete Doppelbauer. Es brauche kurzfristige Pakete, dies sei keine Frage. Die Länder sollten dabei eine wichtige Rolle spielen. Man müsse aber bei den Hilfen zielsicher sein, denn „man drucke das Geld nicht im Keller.“ Wichtig sei also mittelfristig der Ausbau der erneuerbaren Energien, auch eine Steuersenkung könne man sich seitens der NEOS vorstellen.

Abgeordneter Hammer von den Grünen betonte nochmals, dass „Schmerzmittel“ – nämlich klimaschädliche Subventionen – nicht geeignet seien, um diese „Krankheit“ zu heilen. Der Gruppe von Menschen, die ein sehr geringes Einkommen hätten, in sehr schlecht gedämmten Wohnungen wohnten und sehr hohe Heizkosten hätten, müsse jetzt sehr gezielt geholfen werden. Das fossile Gas solle aber nicht für alle billiger gemacht werden. Über viele Jahre seien bei den Kosten von fossiler Energie die ökologischen und sozialen Kosten nicht eingepreist worden, man habe auf Pump gelebt, der Preis sei zu gering gewesen.

Was das Abschaltverbot betreffe, so haben die Energieversorgungsunternehmen Verantwortung übernommen und ein freiwilliges Abschaltverbot praktiziert, so Abgeordnete Graf von der ÖVP. Die Anpassung der Gas- und Strompreise erfolge zeitverzögert und es gebe einen großen Instrumentenkoffer an Möglichkeiten, wie man das abfedern könne. Die Forderung der SPÖ nach einer flächendeckenden Ausschüttung von Förderungen könne die ÖVP nicht unterstützten. Der Fokus müsse in der Zukunft liegen, und einkommensschwache Haushalte könnten eine bis zu hundertprozentige Förderung für einen Umstieg auf saubere Heizsysteme abrufen.

Eine „Just Transition“, einen sozial gerechten Übergang in ein sauberes und leistbares Energiesystem zu gestalten, sei das übergeordnete Ziel, so Abgeordneter Hammer (Grüne). Viele Haushalte könnten sich den Rest, den sie selbst finanzieren müssten, nicht leisten, daher differenziere man jetzt erstmalig sozial bei der Klimaschutzförderung.

Experte Josef Thoman unterstrich, dass es sehr wichtig sei, dass den Menschen nun durch ausreichend Förderungen die Möglichkeit gegeben werde, etwa beim Heizen aus fossilen Energien auszusteigen und die Heizungen zu tauschen. Es gebe aber große Gruppen, die noch keine Möglichkeiten hätten, zu Förderungen zu kommen, etwa Mieterinnen und Mieter, die mit Gas und Öl heizen, oder Haushalte mit sehr geringem Einkommen, die sich die Eigenmittel nicht leisten könnten. Es brauche auch einen One-Stop-Shop als Anlaufstelle in jedem Bundesland, bei dem man vollumfassend beraten werde, welche Maßnahmen man setzen könne und wo es dafür Förderungen gebe. Das Erneuerbaren-Ausbau-Gesetz gehe in die richtige Richtung, auch was die soziale Abfederung betreffe. Es seien genug Mittel da, jetzt gehe es um Fragen des rechtlichen Rahmens, um die Frage, ob es genug Fachkräfte gebe und um den Ausbau der Netze.


Gefragt nach der wichtigsten kurzfristigen Initiative nannte Abgeordneter Wurm (FPÖ) die Halbierung oder Streichung der Mehrwertsteuer. Die NEOS setzen laut Abgeordneter Doppelbauer auf eine treffsichere Erhöhung der Heizkostenzuschüsse durch die Länder. Abgeordneter Schroll von der SPÖ forderte ebenfalls eine Halbierung oder Streichung der Mehrwertsteuer sowie einen Winterzuschuss von 300 Euro zumindest für einkommensschwache Haushalte. Abgeordneter Hammer von den Grünen sprach sich für Verhandlungen mit den Ländern und den Energieversorgungsunternehmen aus, damit diese ihre diesbezügliche Verantwortung wahrnehmen. Abgeordnete Graf von der ÖVP stellte dar, dass die maßgeblichsten kurzfristigen Maßnahmen – den Ökoförderbeitrag für 2022 auf Null zu setzen, die CO2-Bepreisung zu verschieben, den Klimabonus voll auszubezahlen – schon gesetzt worden seien.

Als wichtigste langfristige Maßnahme forderte die FPÖ neuerlich eine Politik mit Hausverstand ohne Überforderung der Betriebe oder Haushalte. NEOS-Abgeordnete Doppelbauer plädierte dafür, sich die Netzinfrastrukturbetreiber anzuschauen und beim Netzausbau auf die Menschen zuzugehen. Abgeordneter Schroll von der SPÖ unterstrich die Wichtigkeit eines raschen Inkrafttretens des Erneuerbaren-Ausbau-Gesetzes. Abgeordneter Hammer von den Grünen forderte eine „Befreiung aus dem Würgegriff der fossilen Abhängigkeit“. Laut Abgeordneter Graf von der ÖVP sei die wichtigste langfristige Maßnahme die ökosoziale Steuerreform, die bereits auf dem Weg sei.

Die nächste Sendung von Politik am Ring findet am Montag, dem 17. Jänner 2021, statt. Sie wird wieder live ab 21 Uhr in der Mediathek des Parlaments übertragen. Alle Folgen von Politik am Ring sind dort dauerhaft abrufbar.